Interview Prof. Laban

Vier Antworten zu „20 Sekunden können Leben retten“

Ein Beitrag zur Früherkennung von Kopf-Hals-Tumoren

Mehr Kopf-Hals-Tumoren in einem frühen Stadium entdecken – das ist das Ziel der Kampagne „20 Sekunden können Leben retten“. Bereits 20 Sekunden können für eine Untersuchung ausreichen.

Professor Simon Laban über die Bedeutung der Kampagne für Betroffene

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Prof. Dr. Simon Laban

Oberarzt, Leitung Kopf-Hals-Tumorbehandlung (Interdisziplinäre Onkologische Tagesklinik),
Leitung Studienzentrale Kopf-Hals-Tumorzentrum Ulm;
Universitätsklinik Ulm, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Kopf-Halschirurgie

Kopf-Hals-Tumore, wie z.B. Krebs in Mundhöhle, Rachen oder Kehlkopf, sind für Betroffene eine große Belastung.1 Viele leiden neben den funktionalen Einschränkungen im Alltag, wie beim Sprechen, Kauen oder Schlucken, zusätzlich unter sichtbaren äußerlichen Veränderungen und Narben.1

Ziel der Kampagne „20 Sekunden können Leben retten“ ist es, bei Zahn- und Hausärzten Aufmerksamkeit für Anzeichen von Kopf-Hals-Tumoren zu schaffen, um eine Diagnose im frühen Stadium zu ermöglichen. 20 Sekunden können dabei ausreichen, um die Mundhöhle eines Patienten auf Warnhinweise für Kopf-Hals-Tumore zu untersuchen.

Professor Simon Laban ist Oberarzt und Leiter der Kopf-Hals-Tumortherapie der interdisziplinären onkologischen Tagesklinik am Universitätsklinikum Ulm, Leiter der Studienzentrale für Kopf-Hals-Tumoren des CCCU (Comprehensive Cancer Center Ulm) sowie Leiter des Qualitätszirkels Klinische Studien des CCCU. Wir haben Herrn Prof. Laban vier Fragen zur Kampagne „20 Sekunden können Leben retten“ gestellt.

Warum ist das Thema „Awareness schaffen“ für Kopf-Hals-Tumoren so wichtig bzw. Ihnen so wichtig?

Prof. Laban: Das Bewusstsein für Kopf-Hals-Tumoren und deren Risikofaktoren in der Bevölkerung ist gering – im Vordergrund stehen dabei vor allem Rauchen, Alkohol und eine HPV-Infektion, aber auch genetische Faktoren spielen eine Rolle.2 Kopf-Hals-Tumoren sind für viele Betroffene und deren Angehörige eine sehr belastende Erkrankung.1 Auch, weil diese Tumoren und die Therapiefolgen mit äußerlichen Veränderungen und Narben einhergehen können.1

Kampagnen zur Aufklärung sind deshalb sehr wichtig, um bei den Patienten und Ärzten ein Bewusstsein für die Erkrankung zu schaffen und damit die Diagnosestellung nicht verschleppt werden.3 Auch hinsichtlich der Früherkennung ist mehr Aufklärung notwendig, denn Betroffene wissen häufig nicht, bei welchen Anzeichen sie zum Arzt gehen sollen.3 Je früher ein bösartiger Tumor entdeckt wird, desto höher sind die Heilungschancen.3

Darüber hinaus sind Ärzte zum Teil wenig geschult und z.B. oft unsicher, wann sie Patienten in ein Kopf-Hals-Tumorzentrum überweisen sollten.4
Die Therapie der Erkrankung ist hochkomplex:3 Neben der Operation, Strahlen- und Chemotherapien stehen den behandelnden Ärzten heute bei fortgeschrittener Erkrankung auch zielgerichtete und immunologische Therapien zur Verfügung.3 Deshalb ist eine Schärfung des Bewusstseins für die Erkrankung wichtig, da durch eine Früherkennung durch den Arzt und eine darauffolgende Überweisung in ein Kopf-Hals-Tumorzentrum, die Prognose der Erkrankung verbessert werden kann.3,4

Was kann jeder Arzt, ob Zahnarzt, Allgemeinmediziner oder Dermatologe konkret tun, um Veränderungen im Mundbereich bzw. im Kehlkopf frühzeitig zu erkennen?

Prof. Laban: Gerade Zahnärzten und Hausärzten kommt in der Früherkennung von Kopf-Hals-Tumoren eine wichtige Rolle zu.3 Im Rahmen der zahnärztlichen Untersuchung wird in der Regel der Mundraum untersucht. Diese Gelegenheit ließe sich sehr gut nutzen, um mit geringem Zeitaufwand eine gründliche Inspektion auf Warnzeichen für Krebs in Mundhöhle und Mundrachen vorzunehmen. Alarmsymptome können tastbare oder sichtbare Veränderungen wie knotige Verhärtungen im Bereich der Mundhöhle, Schleimhautschwellungen oder wunde Stellen sowie Schmerzen im Mund- und Rachenbereich sein.3,4 Eine ähnlich wichtige Rolle kommt den Hausärzten zu, die auch aus ganz unterschiedlichen Gründen häufig den Mundraum untersuchen, beispielsweise dann, wenn ein Patient erkältungsbedingt über Halsschmerzen klagt.5 Hier könnte ein weiterer Beitrag zur Früherkennung von Kopf-Hals-Tumoren geleistet werden, wenn jede dieser Gelegenheiten für eine gründliche Untersuchung von Mundhöhle und Pharynx genutzt wird.

Eine erste Untersuchung ist auch beim Hausarzt mit wenig Aufwand möglich. Eine Lichtquelle, z. B. eine kleine Lampe oder eine Stirnlampe, und ein Mundspatel sind dafür absolut ausreichend. Untersucht werden sollten dabei die Lippen, die Lippenschleimhaut, die Wangenschleimhaut, das Zahnfleisch, die Zunge, der Mundboden, der Gaumen, der Pharynx und die Tonsillen.6 Der Großteil der Kopf-Hals-Tumoren befindet sich im Rachen, in der Mundhöhle und den Lippen.7 In der Mundhöhle sind am häufigsten die Zunge oder die Mundschleimhaut im Bereich des Mundbodens betroffen.8

Was ist zu tun, wenn Stellen tatsächlich entdeckt werden?

Prof. Laban: Wenn verdächtige Veränderungen entdeckt werden, sollte umgehend eine weiterführende Diagnostik (z.B. eine Biopsie) veranlasst werden.3,4 Es kann sogar sinnvoll sein, diese Patienten direkt und ohne vorherige Biopsie in ein Kopf-Hals-Tumorzentrum zu überweisen.3,4 Dort kann dann die Erstuntersuchung erfolgen und eine Bildgebung veranlasst werden. Neben einer Biopsie sollte dann auch gleich eine Endoskopie der gesamten Schluck-Atem-Straße erfolgen.3 Diese Reihenfolge ist wichtig: Wird die Biopsie vor der Bildgebung entnommen, kann sich die Biopsie-bedingte Entzündungsreaktion in der Bildgebung durch eine verfälschte Kontrastmittelaufnahme bemerkbar machen und die Ausdehnungsbestimmung erschweren.3

Was hoffen Sie, was wir mit dieser Kampagne erreichen und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Prof. Laban: Meine große Hoffnung ist, dass wir im Zuge dieser Kampagne das Bewusstsein für Kopf-Hals-Tumoren schärfen können und mehr Tumoren in früheren Stadien entdeckt werden. Denn je früher die Tumoren erkannt werden, desto besser ist die Chance auf Heilung.3 Für die Betroffenen wünsche ich mir auch, dass wir dazu beitragen können, ihre Stigmatisierung zu reduzieren. Denn natürlich bekommt man im Alltag in der Klinik mit, welche starke psychische Belastung diese Erkrankung für Patienten und ihr Umfeld bedeutet. Wenn es uns gelingt, die funktionalen Einschränkungen und Stigmatisierung zu reduzieren, können wir es Patienten vielleicht auch erleichtern, in ihrem sozialen Umfeld offen mit ihrer Erkrankung umzugehen.

Diese Symptome können auf einen Kopf-Hals-Tumor (Mundhöhle, Rachen und Kehlkopf) hinweisen:

Hier finden Sie alle wichtigen Informationen zur Früherkennung von Kopf-Hals-Tumoren übersichtlich in einer Infobroschüre zusammengefasst.

Quellen

  1. Leitlinienprogramm Onkologie [Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF]. Patientenleitlinie Mundhöhlenkrebs – September 2021 [eingesehen am 2023 Sep 05]. Available from: URL: https://www.krebshilfe.de/infomaterial/Patientenleitlinien/Mundhoehlenkrebs_Patientenleitlinie_DeutscheKrebshilfe.pdf.
  2. Krebs in Deutschland für 2017/2018. 13. Ausgabe. Robert Koch-Institut (Hrsg) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (Hrsg). Berlin, 2021: doi: 10.25646/8353.
  3. Leitlinienprogramm Onkologie [Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF]. S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms. Langversion 3.0. – März 2021. AWMF-Registernummer: 007/100OL, https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/007-100OLl_S3-Diagnostik-Therapie-Mundhoehlenkarzinom_2021-03.pdf (Zugriff am: 22.11.2021).
  4. Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) (Leitlinien Zahnmedizin). S2k-Leitlinie Diagnostik und Management von Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Langversion – September 2019. AWMF-Registernummer: 007-092, Available from: URL: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/007-092l_S2k_orale_Vorlaeuferlaesion_Plattenepithelkarzinom_2020-04_1.pdf (Zugriff am: 22.11.2021).
  5. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. S3-Leitlinie Halsschmerzen. Langversion – Oktober 2020. AWMF-Registernummer: 053-010. Available from: URL: https://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/DEGAM-S3-Leitlinien/053-010_Halsschmerzen/oeffentlich/053-010l_Halsschmerzen_07-12-2021.pdf.
  6. National Institute of Dental and Craniofacial Research. Detecting oral cancer. Available from: URL: https://www.nidcr.nih.gov/sites/default/files/2020-10/Detecting-Oral-Cancer-Healthcare-Professionals.pdf (Zugriff am 22.09.2023).
  7. Wienecke A, Kraywinkel K. Epidemiologie von Kopf-Hals-Tumoren in Deutschland. Onkologe 2019; 25(3):190–200.
  8. Roi A et al. Oral cancer histopathological subtypes in association with risk factors: a 5-year retrospective study. Rom J Morphol Embryol 2020; 61(4):1213–20.

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