S3-Leitlinie: Stellenwert und Einsatz in der Onkologie
S3-Leitlinie: Stellenwert und Einsatz in der Onkologie
Prof. Andreas Dietz spricht im Interview über den Stellenwert von S3-Leitlinien in der Onkologie und erklärt, welche Relevanz die Empfehlungen der 2021 aktualisierten S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms für seinen Therapiealltag haben.
Prof. Dr. med. Andreas Dietz
Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde an der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Leipzig.
Im März 2021 wurde die aktualisierte S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms veröffentlicht.1 Professor Andreas Dietz ist Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Direktor der HNO-Klinik am Universitätsklinikum Leipzig. Im Interview beantwortet er vier Fragen rund um den Stellenwert von S3-Leitlinien in der Onkologie im Allgemeinen und die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms im Speziellen.
Welchen Stellenwert haben S3-Leitlinien generell für Sie?
Dr. Dietz: Die S3-Leitlinien in der Onkologie wurden in einem gemeinsamen Leitlinienprogramm Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft, der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und der Deutschen Krebshilfe aufgelegt.1, 2 Der Erstellungsprozess einer solchen objektiven, wissenschaftlich fundierten Richtschnur ist hochtransparent.3 S3 ist zudem das höchste Niveau an Leitlinienqualität.4 Weicht ein Arzt von den Empfehlungen in S3-Leitlinien ab, sollte er das begründen können.5 So orientieren sich z. B. Gutachter in Zivilprozessen bei Behandlungsfehlern gerne an solchen Leitlinien. Wurde eine Abweichung festgestellt, lautet die Frage: Warum? Auch Richter entscheiden u.a. unter Berücksichtigung der Leitlinien – obwohl sie eigentlich nicht rechtsbindend sind.6
Welchen Einfluss hat die S3-Leitlinie Mundhöhlenkarzinom, die im Jahr 2021 neu aktualisiert worden ist, auf Ihre Therapieentscheidung?
Dr. Dietz: Die S3-Leitlinie Mundhöhlenkarzinom ist, was die Therapieoptionen betrifft, derzeit wirklich auf dem aktuellen Stand.1 Die chirurgische Behandlung ist gleich geblieben.1 Ein HPV-Screening wird in der aktuellen Version nicht empfohlen.1 Was sich noch geändert hat, ist die Erst- und Zweitlinientherapie des Mundhöhlenkarzinoms.1 Wir in Leipzig berücksichtigen die neuen Empfehlungen natürlich bei der Behandlung unserer Patienten.
Die PD-L1-Testung hat Einzug in die Leitlinie gehalten. Sehen Sie dadurch Vorteile?
Dr. Dietz: Die PD-L1-Testung wurde entsprechend der Zulassung von Pembrolizumab zur Erstlinienbehandlung des metastasierenden oder nicht resezierbaren rezidivierenden Plattenepithelkarzinoms der Kopf-Hals-Region (Mu/R HNSCC) bei Erwachsenen mit PD-L1-exprimierenden Tumoren (CPS ≥ 1) in die Leitlinie aufgenommen.1, 7 Demnach spielt die CPS-Testung in der Erstlinientherapie nun eine wichtige Rolle.1, 7 Der Marker ist daher überaus sinnvoll. Grundlage für diese Empfehlung sind die Daten der Studie KEYNOTE-48.7, 8 Außer PD-L1 haben wir bei den Kopf-Hals-Tumoren bisher keinen sinnvollen Marker.9
Hat die Aktualisierung der Leitlinie den Therapiealltag verändert? Inwieweit profitieren die Patienten davon?
Dr. Dietz: Mittlerweile betrachten wir bei Kopf-Hals-Tumoren auch die Tumordynamik: Wir unterscheiden, ob der Tumor symptomatisch ist oder der Tumor schnell wächst – in diesen Fällen kann man bei der Behandlung von Patienten mit M/uR HNSCC mit CPS ≥ 1 den Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab mit Platin- und 5-Fluorouracil (5-FU)-Chemotherapie kombinieren, oder wir nutzen den im Vergleich zur Kombination mit einer Chemotherapie weniger toxischen Checkpoint-Inhibitor als Monotherapie.10 Auch das ist eine Differenzierung der Therapieoptionen, die neu ist. Wir bewegen uns daher bei Kopf-Hals-Tumoren in Richtung individualisierter Therapie – sind aber noch lange nicht dort, wo die Therapie z. B. des Mammakarzinoms ist. Patienten profitieren auf jeden Fall von einer Leitlinien-gerechten Therapie: Wir wissen beispielsweise, dass in großen Zentren die Qualität der Behandlung und das Überleben der Patienten besser sind.11 Diese Zentren werden regelmäßig überprüft, ob sie Leitlinien-konform behandeln.11
Wir danken Professor Andreas Dietz für das aufschlussreiche Gespräch und die umfassende Einordnung der aktualisierten S3-Leitlinie Mundhöhlenkarzinom.
Die wichtigsten Updates und Neuerungen der S3-Leitlinie Mundhöhlenkarzinom haben wir für Sie in einer Übersichtsgrafik zusammengefasst.
Vorgängerversion 2.0 | Aktuelle Version 3.0 |
Patienten mit einem unheilbaren Tumorleiden, jedoch einem guten Allgemein- und Leistungszustand sollen einer palliativen platinbasierten Chemotherapie in Kombination mit Cetuximab zugeführt werden. Bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand sollte eine Monotherapie erwogen werden. Eine exzessive Toxizität durch eine Kombinations-Chemotherapie sollte vermieden werden. | Modifiziert: Der gegen den PD-1-Rezeptor gerichtete Antikörper Pembrolizumab soll bei Patienten mit PD-L1-exprimierenden Tumor- und Immunzellen (CPS ≥ 1) als first line Monotherapie oder in Kombination mit Platin und 5-Fluorouracil eingesetzt werden. |
Neu: Bei Patienten, die pathologisch keine PD-L1 exprimierenden Tumor- oder Immunzellen (CPS < 1) aufweisen, sollte der gegen den EGRF Rezeptor gerichtete Antikörper Cetuximab bei Patienten in gutem Allgemeinzustand, die sich nicht mehr für eine Lokaltherapie qualifizieren, in der Palliativsituation als first line Therapie in Kombination mit Platin (vorzugsweise Cisplatin) und 5-Fluorouracil (EXTREME-Schema) eingesetzt werden. | |
Neu: Nach 4-6 Zyklen dieser Kombination soll bei nichtprogredienter Erkrankung bei PD-L1 positiven Patienten eine Erhaltungstherapie bis zum Progress mit Pembrolizumab bzw. bei PD-L1 negativen Patienten mit Cetuximab erfolgen. | |
Neu: Nach Versagen einer platinhaltigen Erstlinientherapie mit Cetuximab soll eine Zweitlinientherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor gemäß Zulassungsstatus durchgeführt werden. | |
Neu: Nach Versagen einer Erstlinientherapie mit Pembrolizumab als Monotherapie kann eine Zweitlinientherapie mit Platin/5-FU und Cetuximab durchgeführt werden. | |
Eine Kombination aus mehreren Immuntherapien kann nicht im klinischen Alltag empfohlen werden und sollte weiter in klinischen Studien geprüft werden. | |
Eine Schnittbildgebung (z. B. CT) sollte unter laufender palliativer Systemtherapie je nach Therapielinie und Dynamik der Erkrankung alle 6 bis 12 Wochen erfolgen. |
Tab. 2: Tabellarischer Vergleich der neuen Empfehlungen zur palliativen und palliativmedizinischen Behandlung. Modifiziert von MSD nach Daten der S3-Leitlinien der Vorgängerversion 2.0 sowie der aktuellen Version 3.0.1, 12
Aktuelle Zulassung von KEYTRUDA® bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom der Kopf-Hals-Region7
KEYTRUDA® ist als Monotherapie oder in Kombination mit Platin- und 5-Fluorouracil (5-FU)-Chemotherapie zur Erstlinienbehandlung des metastasierenden oder nicht resezierbaren rezidivierenden Plattenepithelkarzinoms der Kopf-Hals-Region bei Erwachsenen mit PD-L1-exprimierenden Tumoren (Combined Positive Score [CPS] ≥ 1) angezeigt.
KEYTRUDA® ist als Monotherapie zur Behandlung des rezidivierenden oder metastasierenden Plattenepithelkarzinoms der Kopf-Hals-Region mit PD-L1-exprimierenden Tumoren (TPS ≥ 50 %) und einem Fortschreiten der Krebserkrankung während oder nach vorheriger Platin-basierter Therapie bei Erwachsenen angezeigt.
Abkürzungen
5-FU: 5-Fluorouracil
CPS: combined positive score
HNSCC: Plattenepithelkarzinom der Kopf-Hals-Region (head and neck squamous cell carcinoma)
M/uR: metastasierend oder nicht resezierbar rezidivierend
PD-L1: programmierter Zelltod-Ligand 1 (programmed cell death ligand 1)
TPS: tumor proportion score
Vor der Verordnung eines Arzneimittels lesen Sie bitte die Fachinformation.
Fachinformation KEYTRUDA®.
Quellen
- Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF (Leilinienprogramm Onkologie). S3 Leitlinie Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms. Langversion 3.0 [AWMF-Registernummer: 007/100OL] [eingesehen am 24.07.2024]. Available from: URL: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Mundhoehlenkarzinom/Version_3/LL_Mundhoehlenkarzinom_Langversion_3.0.pdf.
- Deutsche Krebsgesellschaft (DGK). Das Leitlinienprogramm Onkologie [eingesehen am 24.07.2024]. Available from: URL: https://www.krebsgesellschaft.de/deutsche-krebsgesellschaft-wtrl/deutsche-krebsgesellschaft/leitlinien/onkologische-leitlinien-im-ueberblick.html.
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Ziele und Struktur des AWMF-Regelwerks Leitlinien. Version 2.1 [eingesehen am 24.07.2024]. Available from: URL: https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/Werkzeuge/ll-glossar.pdf.
- Gesundheitsinformation.de. Was sind Leitlinien? [eingesehen am 24.07.2024]. Available from: URL: https://www.gesundheitsinformation.de/was-sind-leitlinien.html.
- openJur. LG Kiel, Urteil vom 29.03.2019 – 8 O 190/16 [eingesehen am 24.07.2024]. Available from: URL: https://openjur.de/u/2203791.ppdf.
- Fachinformation KEYTRUDA®, Stand Juni 2024.
- Burtness B et al. Pembrolizumab alone or with chemotherapy versus cetuximab with chemotherapy for recurrent or metastatic squamous cell carcinoma of the head and neck (KEYNOTE-048): A randomised, open-label, phase 3 study. The Lancet 2019; 394(10212):1915-1928.
- Botticelli A et al. Anti-PD-1 and Anti-PD-L1 in Head and Neck Cancer: A Network Meta-Analysis. Front Immunol 2021; 12:705096.
- Machiels J-P et al. Squamous cell carcinoma of the oral cavity, larynx, oropharynx and hypopharynx: EHNS–ESMO–ESTRO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Annals of Oncology 2020; 31(11):1462–75.
- Wiegand S, Dietz A. Qualität in der Kopf-Hals-Onkologie. Laryngorhinootologie 2020; 99(S 01):S60-S106.
- Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF (Leilinienprogramm Onkologie). S3 Leitlinie Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms. Langversion 2.0 [AWMF-Registernummer: 007/100OL]; 2012 [eingesehen am 24.07.2024]. Available from: URL: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Mundhoehlenkarzinom/S3-Mundhoehlenkarzinom-OL-Langversion_.pdf.
DE-OHN-00189 12/21
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