Elimination der Masern in Europa: Zu früh gefreut?

Elimination der Masern in Europa: Zu früh gefreut?

Warum ist eine hohe Masern-Durchimpfungsrate so wichtig? Am Beispiel Englands wird deutlich: Auch wenn die Einschleppung von Masern eingedämmt werden konnte, können selbst kleine Ausbrüche eine schwere Belastung für das Gesundheitssystem darstellen.1 Informieren Sie sich hier!

Gelbes Warnschild, mit der Aufschrift „Achtung Masern“.

Mehr als 1,2 Millionen Kinder haben seit Beginn der COVID-19-Pandemie mindestens 1 Masern-Mumps-Röteln-Impfung verpasst. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hat vor Impflücken bei Masern in Europa und einer künftigen Zunahme der Erkrankung gewarnt.3 Warum können Impflücken problematisch sein?

Die hochansteckende Masern-Erkrankung führt zu einer langanhaltenden Schwächung des Immunsystems. Das erhöht das Risiko für virale oder bakterielle Infektionen. Als mögliche Spätkomplikation kann außerdem eine subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) auftreten, eine immer tödlich verlaufende Erkrankung des Gehirns.4

Eine Masern-Infektion ist keine harmlose Krankheit. Das Risiko schwerwiegender Komplikationen ist bei Kindern unter 5 Jahren und bei Erwachsenen über 20 Jahren am höchsten.5

Die Impfstoffe gegen Masern sind frühestens für Kinder ab dem vollendeten 9. Lebensmonat zugelassen. Zu diesem Zeitpunkt hat ihr natürlicher Immunschutz durch die mütterlichen Antikörper bereits nachgelassen. Aus diesem Grund sind jüngere Kinder darauf angewiesen, dass die Menschen in ihrer Umgebung geimpft sind und sie durch die Herdenimmunität vor einer Infektion geschützt werden. Gleiches gilt für diejenigen, die keine Masernschutzimpfung erhalten dürfen, wie z. B. in der Schwangerschaft.5

Auch Erwachsene sind laut ECDC nicht ausreichend geschützt: Von 2018 bis 2021 wurden 39 % der Masernfälle bei über 20-Jährigen berichtet – fast 75 % davon traten bei Ungeimpften auf.3

Weniger Masern-Fälle während der COVID-19-Pandemie

Während der COVID-19-Pandemie ist das Ausmaß der Masernübertragung in der EU deutlich unter das Niveau vor der Pandemie in den Jahren 2018 und 2019 gesunken: Für das Jahr 2022 wurde eine Melderate von 0,3 Fällen pro 1.000.000 Einwohner ermittelt. Das entspricht einem Rückgang von 99 % bzw. 96 % gegenüber 2018 und 2019.1

Nur 15 der 30 EU-Länder meldeten Masernfälle. Dies steht auch im Gegensatz zur früheren Ausbreitung, bei der die Mehrheit der Länder mindestens 1 Fall pro Jahr meldete.1

Die sinkenden Fallzahlen sind wahrscheinlich auf die Maßnahmen der COVID-19-Pandemie zurückzuführen. Durch die Herausforderungen für das Gesundheitssystem während dieser Zeit könnten jedoch auch zu wenig Masernfälle diagnostiziert worden sein. Daher sind die gemeldeten Zahlen mit Vorsicht zu interpretieren.1

Die Europäische Regionale Verifizierungskommission für die Eliminierung von Masern und Röteln (RVC) stellte fest, dass:1

  • 19 Mitgliedstaaten die endemischen Masern nachweislich eliminiert haben,
  • in 4 Ländern die Masern endemisch sind,
  • in 3 Ländern die Übertragung von Masern wieder begonnen hat
  • und dass für 2 Länder der Status noch nicht geklärt ist.

Niedrige Durchimpfungsrate: Europa als Pulverfass?

Insgesamt 80 % der gemeldeten Masern-Fälle im Alter zwischen 1 und 4 Jahren waren im Jahr 2022 ungeimpft. Dies ist die Altersgruppe, in der die meisten EU-Länder im Rahmen ihrer nationalen Impfprogramme die 1. oder die 1. und 2. Maserndosis verabreichen. Die für das Jahr 2022 gemeldeten Daten zeigen, dass, obwohl die aktuellen Impfprogramme in der EU speziell auf Kinder in dieser Altersgruppe abzielen, eine Reihe von Kindern nicht erreicht wird.1

In Europa gibt es Gebiete, in denen überhaupt nicht gegen Masern geimpft wird. Das stellt für Länder, die die hochansteckende Viruserkrankung ausgerottet haben, eine Gefahr dar3: Ist die Durchimpfungsrate nicht bei mindestens 95 %6, kann das Virus seinen Weg in Gebiete mit empfänglichen Bevölkerungsgruppen finden1. So sind großflächige Ausbrüche möglich.1

Die Zahl der gemeldeten Masernfälle und -ausbrüche weltweit ist im Jahr 2023 im Vergleich zum Zeitraum 2020 – 2022 gestiegen. Auch in der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es einen Anstieg der Masernfälle auf über 30.000 Fälle, darunter 21.000 Krankenhauseinweisungen.7 Im Vergleich zum Vorjahr 2022 mit 941 Fällen stiegen die Masernfälle um mehr als das 30-fache an.6 Der Anstieg verschärfte sich gegen Ende des Jahres 2023 und hält auch in 2024 noch an.7

Auch in England traten die Masern im Jahr 2023 wieder vermehrt auf. Der anfängliche Anstieg der Fälle im April und Mai war vor allem auf eine Aktivität in London zurückzuführen, die während des Sommers wieder auf ein sehr niedriges Niveau sank.8 Doch seit Oktober 2023 gab es einen raschen Anstieg der Fälle in den West Midlands8, hauptsächlich in Birmingham9.

Seit dem 1. Oktober 2023 bis zum 6. Februar 2024 wurden in England 465 bestätigte Masernfälle gemeldet:9

  • 17 Fälle im Oktober 2023
  • 42 Fälle im November 2023
  • 161 Fälle im Dezember 2023
  • 240 Fälle im Januar 2024*

71 % dieser Fälle traten in den West Midlands auf und 13 % in London. Mit 66 % betrafen die meisten Erkrankungen Kinder unter 10 Jahren. 25 % der Fälle traten bei Menschen im Alter von 15 Jahren und älter auf.9

Im Vereinigten Königreich lag die Durchimpfungsrate für die Masern-Grundimmunisierung im Jahr 2022 unter 95 %. Dies erhöht das Risiko einer vermehrten Verbreitung von Masern, insbesondere in nicht geimpften Teilen einer ansonsten gut geimpften Bevölkerung.2

* Es gibt eine Verzögerung bei der Datenmeldung, daher sind die Daten für den Januar 2024 vorläufig und vorbehaltlich der Bestätigung durch das Referenzlabor.9

Fazit & Ausblick

In Ländern, in denen die Einschleppung eingedämmt werden konnte, können selbst kleine Ausbrüche eine schwere Belastung für das Gesundheitssystem darstellen, wenn die Masern ausgerottet sind. Dies zeigt erneut, wie wichtig es ist, eine hohe Durchimpfungsrate aufrechtzuerhalten.1

Seit dem 1. Januar 2023 melden die europäischen Länder entweder sporadische Fälle oder Ausbrüche von Masern, nachdem die Aktivität während der COVID-19-Pandemie ungewöhnlich gering gewesen war. Ein weltweiter Anstieg der Masernfälle nach der COVID-19-Pandemie war erwartet worden. In Anbetracht der suboptimalen Durchimpfungsrate für die 2. Dosis (< 95 %) in den meisten europäischen Ländern ist mit weiteren Masernfällen zu rechnen.2

Expert:innen stellten im März 2023 fest: Eine der höchsten Prioritäten für 2023 – 2025 ist die Stärkung von Routineimpfprogrammen (einschließlich Programmen für Nachholimpfungen) für Masern und andere ausbruchsgefährdete Krankheiten.1

Quellen:

  1. ECDC. Measles Annual Epidemiological Report for 2022. Aktueller Stand: 24.04.2023. Online verfügbar unter: https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/measles-annual-epidemiological-report-2022 [eingesehen am 22.02.2024].
  2. European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Communicable Disease Threats Report. Weekly Bulletin. 14. – 20. Januar 2024. Abrufbar unter: https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/communicable-disease-threats-report-14-20-january-2024-week-3 [eingesehen am 22.02.2024].
  3. Patzer KH. Impflücken bei Polio und Masern. MMW Fortschr Med. 2023;165(10):19. DOI: 10.1007/s15006-023-2674-9.
  4. Robert Koch-Institut (RKI). Kurz & knapp: Faktenblätter zum Impfen. Masern-Impfung. Aktueller Stand: März 2020. Abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/MMR_Masern/Masern.html [eingesehen am 22.02.2024].
  5. Robert Koch-Institut (RKI). Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Schutzimpfung gegen Masern. Aktueller Stand: 25.01.2022. Abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ_Uebersicht_MSG.html?nn=2375548 [eingesehen am 22.02.2024].
  6. World Health Organization (WHO). A 30-fold rise of measles cases in 2023 in the WHO European Region warrants urgent action. Aktueller Stand: 14.12.2023. Abrufbar unter: https://www.who.int/europe/news/item/14-12-2023-a-30-fold-rise-of-measles-cases-in-2023-in-the-who-european-region-warrants-urgent-action [eingesehen am 22.02.2024].
  7. European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Threat assessment brief. Measles on the rise in the EU/EEA: considerations for public health response. Aktueller Stand: 16.02.2024. Abrufbar unter: https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/threat-assessment-brief-measles-rise-eueea-considerations-public-health-response [eingesehen am 22.02.2024].
  8. UK Health Security Agency. Confirmed cases of measles in England by month, age and region: 2023. Aktueller Stand: 08.02.2024. Abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/measles-epidemiology-2023 [eingesehen am 09.02.2024].
  9. UK Health Security Agency. National Measles Standard Incident – measles epidemiology (from October 2023). Aktueller Stand: 08.02.2024. Abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/measles-epidemiology-2023 [eingesehen am 09.02.2024].

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